Bibelessay zu Joh 20,1-9 von Bischof Benno Elbs
Die Szene berührt mich jedes Jahr neu: Maria Magdalena, tränenblind und gezeichnet vom Geschehen des Karfreitags, kommt am Ostermorgen zum Grab Jesu. Er, auf den sie alles gesetzt hat, ist tot. Als Verbrecher wurde er am Schandpfahl des Kreuzes hingerichtet; mit seinem Tod war auch all ihrer Hoffnung ein abruptes Ende gesetzt. Doch dann, mitten in dieser dunklen Trauerstimmung, heißt es beim Evangelisten Johannes kurz und knapp: Sie kam zum Grab und „sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war“. (Joh 20,1) Dieser Satz, ganz schlicht und ohne Emotion festgehalten, ist in Wahrheit wie ein Trompetenstoß, der in ihr Leben und in die ganze Welt hineinschallt. Sofort setzte sie sich in Bewegung. Ausdrücklich heißt es: Sie ging nicht, sondern „sie lief zu den Jüngern“ (20,2), um ihnen von ihrem Erlebnis zu berichten. Bei weitem nicht alle Jünger, sondern lediglich zwei von ihnen – Petrus und ein namenloser „anderer Jünger“ – ließen sich bewegen. Auch sie „liefen“ (20,4) gemeinsam mit Maria von Magdala zum Grab, um dann dieselbe Erfahrung zu machen: Der Stein und der Leichnam sind weg, das Grab ist leer.
Wie schon bei der Geburt Jesu, wo Menschen aus nah und fern zur Krippe kamen, so setzt auch der Ostermorgen Menschen in Bewegung. Die Schockstarre der Trauer ist überwunden. Menschen können erneut aufeinander und auf Gott zugehen. Für das Christentum ist die Auferstehung Jesu das, was für das Universum der Urknall war. Durch den vom Grab weggewälzten Stein ist etwas ins Rollen gekommen, das auch nach zweitausend Jahren noch nicht zum Stillstand gekommen ist. Die Kraft der Auferstehung hält auch heute noch an. Sie ist der Grundimpuls, der große Moment, der Glaube, Hoffnung und Liebe aufstrahlen lässt. Unzählige Menschen haben sich im Laufe der Geschichte von der Botschaft der Auferstehung Jesu bewegen und faszinieren lassen: Junge und Alte, Ehepaare und Ordensleute, Priester, Missionarinnen und Missionare. Sie alle haben sich aufgemacht und diese Solidarität Gottes mit den Armen und Schwachen, die nicht einmal im Tod eine Grenze findet, in Wort und Tat verkündet und gelebt. Ihnen ist auch zu verdanken, dass der Urknall der Auferstehung kein einmaliges Ereignis blieb, sondern auch heute spür- und sichtbar ist.
Von da her hat Auferstehung auch etwas mit Aufstehen, mit Aufstand zu tun. Ostern ist ein Aufstand für das Leben und zugleich ein Protest gegen Leid und Tod wie auch gegen jede Tendenz, die das Dasein des Menschen zu eng und zu klein denkt und kein Darüber-Hinaus, und das heißt: keine Transzendenz kennt. Das Leben und unsere Welt enden nicht am Horizont.
Durch die Auferstehung Jesu ist vieles in Bewegung gekommen. Sie hat Friede und Hoffnung entfacht, die sich seither von Gott zu Mensch, von Mensch zu Mensch verbreiten. Das Christentum ist eine Bewegung der Hoffnung. Es eröffnet, damals wie heute, Wege der Freude, der Zuversicht, des Neubeginns. Am heutigen Ostertag bin ich in besonderer Weise dafür dankbar, dass ich gemeinsam mit vielen Menschen auf der ganzen Welt Teil dieser Bewegung sein kann.
Bischof Benno Elbs