Es sind – damals wie heute – bedrängende Zeiten, in die die Seligpreisungen Jesu hineinsprechen. Aktuell gibt es, weltweit gesehen, so viele militärische Konflikte wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Die Bilder von zerbombten Städten, ermordeten Familien, hungernden und obdachlosen Kindern lassen einen nicht nur die Sprache, sondern auch das Vertrauen an das Gute verlieren. Die Gesichter der Armut und des Leids schreien zum Himmel: in Gaza, in Israel, in der Ukraine, in Aserbaidschan, in der Sahelzone, aber auch bei uns. Eine chronisch erkrankte Jugendliche, die ich seit längerem begleite, hat ihre Verzweiflung vor kurzem so ausgedrückt: „Wenn es einen Gott gibt und er noch dazu gut sein soll, muss er ein Sadist sein.“ Diese Worte und die existentielle Not, aus der sie gesprochen sind, muss man nachhallen lassen, um ihre ganze Wucht erahnen zu können.
Welche Hoffnungsperspektive aber können die Seligpreisungen in Situationen wie diesen andeuten? Wohl kaum werde ich die Jugendliche trösten können, indem ich zu ihr sage: Selig bist du, denn Menschen wie dir gehört das Himmelreich. Der schmale Grat zwischen Trost und Vertröstung würde ins Zynische umschlagen. Und doch können die Seligpreisungen eine wertvolle und notwendende Schule sein. Sie helfen, den Blick zu verändern. Die neun Seligpreisungen der Bergpredigt sprechen nicht aus der Perspektive der Bedrängnis, sondern von Gott her. Das zeigt schon die Art an, wie sie formuliert sind. Die Seligpreisungen sind Verheißungen, die in der Form des sog. Passivum divinum, des göttlichen Passivs, stehen. Das ist eine vorsichtige, behutsame Art, um, ohne Gott ausdrücklich zu nennen, sagen zu können: Gott wird die Trauernden trösten; Gott wird den Verfolgten das Himmelreich schenken; Gott wird den Barmherzigen Erbarmen erfahren lassen. In den Seligpreisungen spricht jemand, der zart und doch felsenfest darauf vertraut, dass das Leben nicht zur Gänze in Leid, Verfolgung und Unglück versinken kann, sondern von Gott her immer und in jeder Situation eine sanfte Wendung zum Guten möglich ist. Wer könnte leben ohne diese Hoffnung? Wer anfängt, von Gott her zu leben und mit dem Blick Jesu auf das eigene Leben zu schauen, dem tun sich neue Maßstäbe auf. Wenn dieser Perspektivenwechsel gelingt, kann man womöglich auch weiter sehen: von der Verzweiflung zur Hoffnung, von der Trauer zum Trost, von der Bruchstückhaftigkeit zur Ganzheit des eigenen Lebensentwurfes.
Doch dieser Blickwechsel ist weniger ein psychologischer Trick und schon gar kein Automatismus. Vielmehr zeigt sich darin eine Grunddynamik der christlichen Spiritualität. Die Stärke Gottes liegt in seinem Schwachsein mit den Schwachen und mit all jenen, die in den Seligpreisungen angesprochen sind. Jesus ist mit allen Menschen eins geworden und hat so überall dort die Verheißung der Hoffnung gesät, wo es niemand vermuten würde. Weshalb man auch sagen kann: Selig sind die Trauernden, weil Jesus selbst zum Trauernden geworden ist. Selig sind die Sanftmütigen, weil Jesus selbst die Sanftmut in Person war. Selig sind, die Frieden stiften, weil Jesus selbst der Friede ist.
Mit Blick in die Welt und auf das leidvolle Schicksal so vieler Menschen erscheinen die Seligpreisungen in einer gewissen Doppelbödigkeit: Versteht man sie oberflächlich, erscheinen sie als ferne, bisweilen zynisch wirkende Utopie. Gräbt man jedoch eine Schicht tiefer, können sie einen Perspektivenwechsel ermöglichen, der den Blick auf Hoffnung und Zuversicht freilegt. Gerade in dieser Zwiespältigkeit machen die Seligpreisungen vor allem eines deutlich: dass angesichts der Erfahrung unverschuldeten Leids der Glaube an Gott schwer möglich, aber notwendig zugleich ist. Er ist die Hoffnung, die atmen lässt.
Bischof Benno Elbs