„Ein Segen sollst du sein!“ Diese Verheißung hat Gott Abraham mit auf den Weg gegeben, als er mit seiner Frau Sara seine Heimat verlassen hat. Noch im vorgerückten Alter – Abraham war, so berichtet das Buch Genesis, 75 Jahre alt – hat er den Auftrag erhalten, für andere zum Segen zu werden. Wer gesegnet ist, weiß sich von Gott angenommen, behütet und beschützt. Im Segen drückt sich eine urmenschliche Sehnsucht nach Glück und Angenommen-Sein, nach Geborgenheit und gelingendem Leben aus.
Segen ist eine Gabe, ein Geschenk, aber auch ein Auftrag. Wir sind gesegnet, damit wir diesen Segen in die Welt hinaustragen und selber zum Segen werden für andere. Das geschieht vor allem dort, wo Menschen ihre ureigene Bestimmung finden, ihre Talente und Fähigkeiten in die Tat umsetzen oder sogar zum Beruf machen können.
Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch tief in seinem Inneren eine verborgene Bestimmung trägt, die Gott schenkt und wachsen lässt.
Dort, wo Menschen ihre Bestimmung gefunden haben, werden sie zum Segen für andere. Und auch umgekehrt: Wenn ich spüre, dass ich für andere zum Segen werde, lebe ich meine Lebensbestimmung. Fortschritt im humanistischen Sinn des Wortes, so hat es kürzlich Julian Nida-Rümelin beim Feldkircher Neujahrsempfang formuliert, besteht in besonderer Weise darin, ob Menschen in ihrem Leben Sinn finden und leben können.
In der Kirche sprechen wir in diesem Zusammenhang auch von Berufung. Dabei geht es um die Frage: Was steckt in dir? Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch tief in seinem Inneren eine verborgene Bestimmung trägt, die Gott schenkt und wachsen lässt. Sie ist ganz individuell. Das Entscheidende ist, diese Berufung zu entdecken, sie zu entfalten und lebendig werden zu lassen. Der heilige Augustinus – er hat an der Schwelle vom 4. zum 5. Jahrhundert gelebt – wird auf Bildern oft mit einem brennenden Herzen dargestellt. Es steht für seine große Liebe zu Gott und zu den Menschen, für die er als Bischof da war. Ein Weg, wie ich meine Berufung und damit auch den tieferen Sinn meines Lebens erkennen kann, verläuft über die Frage: Wofür brennt mein Herz? Bei welcher Tätigkeit, bei welcher Sehnsucht, bei welchen Erfahrungen und Begegnungen fange ich Feuer?
Die Jünger Jesu, von denen an diesem Sonntag im Evangelium (Johannes 1,35-42) die Rede ist, haben schnell Feuer gefangen. Sie standen am Jordanufer, Jesus ging an ihnen vorüber und fragte sie: „Was sucht ihr?“ Diese schlichte und doch in die Tiefe des Herzens führende Frage Jesu bewegt mich immer wieder. Was suchst du? Was bewegt dich? Wofür möchtest du dich einsetzen?
Junge Menschen dabei zu begleiten, den eigenen Weg zu finden, ist eine schöne und verantwortungsvolle Aufgabe. Eltern, Lehrerinnen, Seelsorger oder Freunde spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie können helfen, Talente zu entdecken und Träume zu wecken. Oft genügt ein Satz zur richtigen Zeit, um in anderen ein Feuer zu entfachen. Bei Jesus und den Jüngern dürfte es so gewesen sein. Mit der Frage „Was sucht ihr?“ weckte er das Interesse und die Neugier der beiden Jünger. Er trifft sie mitten ins Herz. Von diesem Tag an folgten sie Jesus und fanden darin ihre Berufung. Sie sahen, wie er Menschen heilte und Freude schenkte. Sie hörten, wie er von Gott sprach. Sie lernten von ihm und machten sich schließlich selbst auf den Weg, um das Evangelium in die Welt zu tragen. Was sie selbst erfahren haben an Segen, Vergebung und heilsamer Zuwendung Gottes, gaben sie an andere weiter. Das ist eine wunderbare Aufgabe, die auch ich als Priester zu leben versuche.
Für mich sind die Berufungsgeschichten der Bibel immer ein Anlass, mir selbst die Frage zu stellen, was mir im Innersten Freude und Erfüllung schenkt. Und sie können uns alle zur Frage hinführen: Wofür brennst du?
Bischof Benno Elbs