
Der Jänner hat seinen Namen vom lateinischen Gott Janus. Er wird gewöhnlich mit zwei Gesichtern dargestellt. Das eine Gesicht blickt nach vorn, das andere zurück. Er ist der Gott des Anfangs und des Endes, der Schwellen und Übergänge. Das Leben hat immer zwei Gesichter, es ist selten einförmig und nie eindeutig: Es gibt Anfang und Ende, Licht und Dunkelheit, Freude und Leid, Leben und Tod. Selten ist alles gut und selten alles schlecht.
Wir stehen wieder an der Schwelle zu einem neuen Jahr. Wie Janus schauen wir in zwei Richtungen: nach vor und zurück. Und da sieht jede und jeder von uns hoffentlich viel Schönes und Aufbauendes: Erlebnisse, die Dankbarkeit und Zufriedenheit wecken; Zärtlichkeit, die wir in Freundschaften und Beziehungen erlebt haben; Momente, in denen der Glaube uns Halt und neue Zuversicht geschenkt hat. Und wir sehen auch das Schwere: Rassismus und Antisemitismus, Krieg, persönliche Schicksalsschläge, wachsende Polarisierung, Menschen in finanziellen Nöten u.v.m. Doch inmitten der Sorgen, die jede und jeder von uns hat, haben wir Weihnachten gefeiert und gehört: Gott ist Mensch geworden. Er ist unter uns als unser Begleiter auf allen Lebenswegen – gestern und heute, im alten und im neuen Jahr.
Im Spannungsfeld von Unbehagen und Hoffnung, das diese Tage um den Jahreswechsel auszeichnet, möchte ich versuchen, drei Neujahrsvorsätze formulieren:
Unsere Zeit ist geprägt von vielen Unsicherheiten und leider auch von Tendenzen zur Spaltung. Umso wichtiger ist es, im neuen Jahr den Weg des Miteinanders zu wählen. Das beginnt im Kleinen: indem wir einander mit Respekt begegnen, zuhören, Verständnis füreinander haben, Verantwortung füreinander übernehmen. Gerade wir als Kirche können hier wichtige Impulse geben. Wir sind eine große, weltumspannende Gemeinschaft vieler Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen, Ansichten, Glaubens- und Lebenswegen. Katholisch heißt bekanntlich: allumfassend. Daher wissen wir, dass Vielfalt kein Problem, sondern eine Gabe ist – vorausgesetzt, wir vergessen nicht darauf, was uns zusammenhält. Darum braucht es immer wieder die Erinnerung daran, dass wir zusammengehören, weil uns eines eint: der Glaube an den Gott, der für uns alle Mensch geworden ist. Friede, Zusammenhalt und Mitmenschlichkeit sind keine Automatismen oder Selbstläufer, sondern verlangen eine bewusste Entscheidung.
Zuversicht ist in den letzten Jahren für mich zu einem zentralen Wort geworden. Wenn sich Mut und Hoffnung rarmachen, ist die Versuchung groß, resigniert den Kopf in den Sand zu stecken oder die Flinte ins Korn zu werfen. Doch christliche Zuversicht beginnt gerade nicht dort, wo alles gelingt, sondern dort, wo wir an unsere Grenzen stoßen, uns aber zugleich von Gott getragen wissen. Sie wächst aus der Erfahrung, dass Gott unser Leben nicht aus der Hand gibt. Viktor Frankl hat das die „Trotzmacht des Geistes“ genannt: die innere Kraft, die sich nicht beugt, sondern aufsteht. Ich würde sagen: Es ist jene Kraft, die Gott in uns hineingelegt hat.
Zuversicht heißt: nicht ausblenden, was schwer ist, aber sich auch nicht davon bestimmen lassen;
sich nicht der Mutlosigkeit beugen, sondern kleine Schritte der Hoffnung gehen.
Wenn ich einen Vortrag vor Managerinnen und Managern halte, die tagtäglich und das ganze Jahr über von Termin zu Termin hasten und ständig unter Zeit- und Entscheidungsdruck stehen, gebe ich ihnen als Giveaway gerne eine kleine Sanduhr mit. Damit möchte ich sie ermutigen, zumindest einmal am Tag für wenige Minuten kurz innezuhalten und zur Ruhe zu kommen, damit Geist und Seele nachkommen können. Momente der Stille sind eine wohltuende Unterbrechung. Stille lässt uns unser Leben wahrnehmen: seine Schönheit und Verletzlichkeit; die Töne und Zwischentöne des Alltags. Sie macht uns hellhörig für das, was sich in uns regt: Unruhe, Sorge, Trauer, Dankbarkeit, Zufriedenheit…
Diese drei Vorsätze sind zugleich drei Wünsche für das neue Jahr. Von Herzen wünsche ich Ihnen ein gesegnetes Jahr 2026.
Bischof Benno Elbs