
Bischof Benno Elbs: "Das erste Lehrschreiben eines Papstes wird immer mit besonderer Spannung erwartet. Nicht selten werden damit auch inhaltliche Weichen gestellt. Papst Leo XIV gelingt mit 'Dilexi te' ('Ich habe dich geliebt'), seinem Schreiben, das heute Mittag präsentiert wurde, zweierlei: Er knüpft inhaltlich sowohl an die 'Option für die Armen' an, die Papst Franziskus betonte, genauso aber auch an die Soziallehre von Papst Leo XIII, der bereits im 19. Jahrhundert die prekäre Situation der Arbeiter und Arbeiterinnen in den Mittelpunkt stellte.
Die Not unserer Mitmenschen darf uns nicht kalt lassen. Mehr noch, als Christinnen und Christen muss uns der 'Schrei der Armen' in unserem Innersten berühren. Solidarität mit den Menschen am Rande, die bedingungslose Liebe zu ihnen durchzieht als eine der großen Lebensadern den christlichen Glauben. So ist auch der Titel des Schreibens zu verstehen. Wie Gott uns geliebt hat, so ist die Menschheitsliebe das Band, das uns als Weltgemeinschaft zusammenhält. Gott sah das Elend der Unterdrückten in Ägypten. Jesus selbst wurde in die Armut hinein geboren. Wenn Gott an der Seite der Armen steht – wo muss dann unser Platz sein?
Die Arbeit der Caritas soll hier nur als ein Beispiel genannt werden. Viele große und kleine Initiativen der gelebten Nächstenliebe ergänzen das Bild. Sie alle sind dort, wo das Leben schmerzt. Das Schreiben Papst Leos ist hier Orientierung und Bestätigung gleichermaßen.
Dieses erste Lehrschreiben Papst Leos lese ich in diesem Sinne als Weiterentwicklung in großer Kontinuität des solidarisch-mitmenschlichen Gedankens. Als Geschöpfe Gottes sind wir Brüder und Schwestern. Das Leid der Anderen ist auch unser Leid und das Arbeiten an einem guten Leben für alle ist keine Utopie, sondern Auftrag an uns alle."
„Papst Leo XIV. erinnert uns daran, dass gesellschaftliche Ungerechtigkeit kein Naturgesetz ist,“ sagt Nora Tödtling-Musenbichler, Präsidentin der Caritas Österreich. „Er erinnert an den Urauftrag der Kirche, den Armen zu helfen. Armut darf nicht hingenommen werden – sie muss vielmehr überwunden werden. Wir als Caritas sehen täglich, was Armut bedeutet. Unsere Aufgabe ist es daher auch, ungerechte Strukturen aufzuzeigen und sie zu bekämpfen. Und wir fordern zugleich politische Veränderungen, dort, wo Strukturen benachteiligen. Armut ist mehr als fehlendes Geld,“ so Tödtling-Musenbichler weiter. „Es geht um Chancen, Teilhabe und Würde. Wer Menschen am Rand eine Stimme gibt, stärkt die ganze Gesellschaft. Armut zu bekämpfen ist eine Frage der Gerechtigkeit.“
„Wir erleben tagtäglich, dass Armut auch Einsamkeit, Scham und Ausgrenzung bedeutet. Wenn Kinder hungrig in die Schule gehen oder Menschen zwischen Heizen und Essen wählen müssen, dann ist das ein Auftrag an uns alle, gegenzusteuern – politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich.“
Unser klarer Appell lautet: Wir wollen in einer Gesellschaft leben, die niemanden zurücklässt. Dafür braucht es Mut, politische Verantwortung und ein gemeinsames Handeln. Ein gerechtes Leben für alle ist auch Auftrag an uns alle“, betont Tödtling-Musenbichler.
In dem Schreiben "Dilexi te" greift Papst Leo XIV. nach eigener Aussage Vorarbeiten seines Vorgängers Franziskus (2013-2025) auf, der sie zu seinen Lebzeiten nicht mehr abschließen konnte. Ein zentrales Element ist die von den Bischöfen in Lateinamerika seit 1968 entwickelte Forderung, dass die Kirche sich bevorzugt den Armen zuwenden und an der Überwindung sozialer Missstände aktiv mitwirken solle.
"Die Armen gehören zur Mitte der Kirche", so eine der zentralen Aussagen. Dabei spricht der Papst nicht nur materielle Not an, sondern auch soziale Ausgrenzung, geistliche Leere und kulturelle Armut. Mehrfach fordert er dazu auf, die strukturellen Ursachen der Armut zu beseitigen.
Der aus den USA stammende Papst übernimmt in dem Schreiben auch einen der provokantesten Sätze seines Vorgängers und betont, es sei notwendig, weiterhin die "Diktatur einer Wirtschaft, die tötet" anzuprangern. Gegen christliche Verklärungen des Kapitalismus argumentiert er: Obwohl es nicht an Theorien fehle, die versuchten, den aktuellen Zustand zu rechtfertigen, oder erklärten, dass die wirtschaftliche Vernunft von uns verlange, darauf zu warten, dass die unsichtbaren Kräfte des Marktes alles lösten, sei die Würde eines jeden Menschen jetzt und nicht erst morgen zu respektieren.
Weiter heißt es in dem Text: "Die Tatsache, dass praktizierte Nächstenliebe verachtet oder lächerlich gemacht wird, als handle es sich um die Fixierung einiger weniger und nicht um den glühenden Kern der kirchlichen Sendung, bringt mich zu der Überzeugung, dass wir das Evangelium immer wieder neu lesen müssen, um nicht Gefahr zu laufen, dass eine weltliche Gesinnung an seine Stelle tritt."
Das in der offiziellen deutschen Übersetzung 60 Seiten umfassende Dokument umfasst 121 Paragrafen in fünf Kapiteln. Unterzeichnet hat der Papst das Schreiben bereits am 4. Oktober.
Hintergrundbericht: Der Papst aus Chicago und seine Kritik am Kapitalismus
Auszüge aus dem Papstschreiben "Dilexi te"
(Red./kathpress.at)