von Dietmar Steinmair
Die katholische Kirche übt seit zwei Monaten heftige Kritik an der von der Regierung avisierten Liberalisierung der Fortpflanzungsmedizin. Welches Menschenbild sehen Sie in Gefahr?
Jenes, das auf der unantastbaren Würde jedes Menschen aufbaut. Unsere Zeit ist eine Zeit der Machbarkeit. Wir wissen, dass es oft möglich ist, die Dinge zu verändern. Dieser Drang zum aktiven Handeln ist in vielen Bereichen eine sehr positive Kraft, die uns vorwärtstreibt.Gefährlich wird es dann, wenn nur noch die Machbarkeit zählt und der Mensch zum Produkt wird. Die Hierarchie der Werte wird sozusagen auf den Kopf gestellt. Die Würde des Menschen darf niemals in Frage gestellt werden. Ein jedes Leben, auch das Kleine, Schwache, Kranke, Unvollkommene, Alte, Gebrechliche hat eine geradezu heilige Würde, und nicht erst dann, wenn es makellos ist. Der Mensch ist immer ein Wunder Es darf nicht soweit kommen, dass der Machbarkeit der Perfektion der Vorzug gegeben wird.
Die Österreichische Bischofskonferenz bezeichnet den vorliegenden Gesetzestext als „ethischen Dammbruch und großen Irrtum“. Gegen welche ethischen Grundprinzipien verstößt der Entwurf?
Die Würde des Menschen ist dem gesamten Gesetzesentwurf keine einzige Erwähnung wert. Das stimmt mich nachdenklich. Es ist doch fragwürdig, dass, wenn wir über etwas so Wichtiges wie die Entstehung eines neuen Lebens diskutieren, die Würde und der Wert dieses Lebens im Gesetzestext nicht einmal erwähnt werden.
Die Aufgabe der Kirche muss es sein, aufzuzeigen, wenn der Mensch Gefahr läuft, zu einem bloßen Mechanismus in einem großen Räderwerk zu werden. Papst Franziskus sagt, wir dürfen nicht stumm bleiben, wenn der Mensch nach den Maßstäben eines zu benützenden Konsumgutes beurteilt wird. „Es ist das große Missverständnis, das geschieht, wenn sich die Verabsolutierung der Technik durchsetzt, die schließlich zu einer Verwechslung von Zielen und Mitteln führt“, sprach sich Papst Franziskus vor dem Europäischen Parlament klar für die Würde des Menschen aus. Nicht die Logik der Selektion und der Machbarkeit dürfen uns leiten, sondern die Logik der Würde, der Wertschätzung und des Respekts.
Besonders in der Kritik steht die Möglichkeit der Präimplantationsdiagnostik (PID). Inwieweit ist die PID immer eine Selektion?
Gerade die Fragen der Präimplantationsdiagnostik bilden einen sehr sensiblen Bereich. Die PID soll ja unter bestimmten Voraussetzungen möglich gemacht werden – also wenn zum Beispiel ein Paar auf natürlichem Wege über lange Zeit keine Kinder bekommen konnte, wenn sie bereits mehrere Fehl- oder Totgeburten erleiden mussten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einen Gendefekt zurückzuführen sind, oder zumindest ein Partner in seinem Erbgut Anlagen für schwere Erbkrankheiten in sich trägt. Ich möchte niemanden verurteilen, der sich ein Kind wünscht und versucht, sich diesen Wunsch zu erfüllen. Ich möchte aber den Horizont weiten für das, was die PID eben auch ist und welchen Wünschen sie die Tür öffnen kann. Zunächst wird in den Voraussetzungen für eine PID immer wieder mit „Wahrscheinlichkeiten“ hantiert. Die Frage, die wir beantworten müssen lautet also auch, reichen Wahrscheinlichkeiten aus, um über das Recht auf Leben zu entscheiden? Wird im Rahmen der PID ein Gendefekt festgestellt, heißt das dann, dass dieses Leben ein Leben zweiter Klasse ist? Dass es nicht lebenswürdig ist? Heißt es, dass wir darüber urteilen, wer leben darf und wer nicht? Und ich möchte die Fragen noch etwas ausweiten: Was mag es wohl für einen Menschen bedeuten, der beispielsweise mit einem solchen Gendefekt lebt, der quasi auf einer Liste des „unwerten Lebens“ steht? Ich möchte die Kunst des Möglichen nicht verteufeln, aber ich möchte davor warnen, dass auch der Schritt von der Vorselektion des menschlichen Lebens durch eine Präimplantationsdiagnostik zum viel zitierten Designer-Baby kein allzu großer mehr ist.
Kinder sind Ausdruck der Liebe zwischen zwei Menschen. Wie sollen Seelsorger der Not von Paaren begegnen, die auf natürlichem Weg keine Kinder bekommen können?
Ich habe kein Patentrezept dafür. Ich glaube, darum geht es auch nicht. Man kann und soll der Not eines Menschen nicht mit dem Rezeptblock begegnen. Es geht zu allererst darum, den Menschen in seiner Not ernst zu nehmen, ihm zuzuhören, bei ihm zu bleiben und ihn zu begleiten. Ich bin kein Freund von generalisierten Ratschlägen in der Art „Tu das und es wird dir besser gehen“. Ich glaube, jedes Paar muss seinen eigenen Weg finden. Unsere Aufgabe ist es, sie dabei nicht alleine zu lassen.
(Aus dem KirchenBlatt Nr. 3 vom 15. Jänner 2015)