Gemeinsam gehen wir wieder auf Ostern zu. Das Fest bedeutet für uns Licht und Leben. Es ist Inbegriff der höchsten und letzten Ziele und Sehnsucht eines jeden Menschen. Die Fastenzeit als Zeit der Vorbereitung auf Ostern ist eine Zeit der Besinnung auf das Wesentliche, eine Zeit der klaren Standortbestimmung, ein ehrlicher Blick in den Spiegel: Was läuft falsch? Wo ist eine Kurskorrektur angesagt? Zu „Umkehr“ lädt die Fastenzeit ein. „Kehr um und glaube an das Evangelium: Das Reich Gottes ist nahe“, so lautet ein Segensspruch beim Auflegen der Asche am Aschermittwoch.
Diese Standortbestimmung lädt uns ein, einen Blick auf die Welt und auf die Kirche zu werfen. Wir leben in turbulenten Zeiten, wenn wir nur auf die täglichen Schlagzeilen in den Medien in den letzten Tagen, Wochen und Monaten blicken. Da begegnen uns viele Situationen, die mit Verunsicherung und Angst verbunden sind: Flüchtlinge und Fremde, wirtschaftliche Unsicherheiten, Nachrichten von Kriegen, Gewalt und Terror, politische Strömungen und Veränderungen. Der Wunsch nach mehr Sicherheit, Kontrolle und Überwachung wird laut. Wo bleibt die gewohnte, geliebte Freiheit?
Was sehen wir im Blick auf die Kirche? Die Zahl der Gottesdienstbesucher wird vielerorts kleiner. Auch die Zahl der Priester wird weniger. Die Einrichtung von Pfarrverbänden und Seelsorgeräumen bringt Neues und Ungewohntes und sorgt dementsprechend auch für manche Spannungen. Es wird schwieriger, Brücken zu jungen Menschen zu bauen. Auf der anderen Seite wieder erleben wir erfreuliche Aufbrüche, etwa der neue Firmweg, eine erfreuliche Offenheit von Jugendlichen bei einer großen Schulbesuchsaktion letzten Herbst, große Zustimmung für den offenen Weg von Papst Franziskus oder viel Solidarität und freiwilliges Engagement in der Zivilgesellschaft.
Der ehrliche, ungeschminkte Blick kann dabei helfen, Versuchungen zu erkennen und ihnen zu begegnen. Da gibt es die Versuchung der Mutlosigkeit und der Resignation: „Da kann man eh nichts machen“. Es gibt die Versuchung der Missgunst und des Neids, die Angst, zu kurz zu kommen oder Güter und Wohlstand teilen zu müssen. Es gibt die Versuchung, angesichts der empfundenen Verunsicherungen und Verletzungen zurückzuschlagen und auszuteilen, wenn der Ton in Meinungsforen und in manchen politischen Wortmeldungen kälter und rauer wird.
Dazu kommt mir ein Wort von Papst Franziskus in Evangelii gaudium in den Sinn: „Wie wünschte ich, die richtigen Worte zu finden, um zu einer Etappe der Evangelisierung zu ermutigen, die mehr Eifer, Freude, Großzügigkeit, Kühnheit aufweist, die ganz von Liebe erfüllt ist und von einem Leben, das ansteckend wirkt!“ (EG 261). Es sind die Träume und Sehnsüchte, die uns als Gesellschaft wie auch als Kirche vorwärts bringen, die uns leben lassen und mit Freude erfüllen.
Ich träume von einer Gemeinde, die eine Hörende ist. Diese christliche Gemeinde hört auf Gott, sie wendet sich bewusst dem Wort Gottes zu und hört die Fragen, Klagen und Sorgen der Menschen. Und zum Hören gehört das Antworten, die Resonanz und das Reagieren auf das Vernommene. Das Leben stellt uns Fragen, wir dürfen antworten. Deshalb lebt eine christliche Gemeinde von Menschen, die im Innersten des Herzens achtsam Hörende sind.
Ich träume von der Kirche als einer Gemeinschaft, die gemeinsame Verantwortung für die Welt und für die Menschen übernimmt. Ich denke dabei z. B. dankbar an die Pfarrgemeinderatswahl am 19. März. Hier erleben wir Menschen, die ihre Talente und Fähigkeiten für andere einbringen wollen. Menschen, die Verantwortung übernehmen und Gemeinde stiften wollen.
„Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern einen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit“, wie es im 2. Timotheusbrief des Apostels Paulus heißt (2 Tim 1,7). Ich träume von einer Kirche, die erfüllt ist vom Geist der Kraft und der Liebe. Entscheidend ist in jeder Begegnung, den anderen Menschen in Liebe und Wertschätzung anzunehmen und vor dem heiligen Boden des andern die Schuhe auszuziehen. Entscheidend ist die Qualität der Begegnung. Ich träume von einer Kirche, die bedingungslos für diese Liebe eintritt, damit niemand zurückgelassen wird in Verzweiflung, Angst oder Einsamkeit. Ich träume von einer christlichen Gemeinde, die ein Ort der Kraft und der Liebe ist, ein Ort der Nähe zu den Menschen.
Hörende Christinnen und Christen, hörende Gemeinden, die sich in der entschiedenen Haltung der Nächstenliebe für das Gute einsetzen, besonders für die Armen, erwachsen aus der Verbundenheit und aus der Freundschaft mit Jesus Christus. „Sie schreiten voran mit wachsender Kraft“, heißt es im Psalm (Ps 84,7). Gott möge den Weg auf Ostern für uns zu einem Weg wachsender Kraft, wachsender Liebe und wachsender Freude machen. Danke für Ihr Mitgehen.
Benno Elbs, Bischof von Feldkirch
(aus dem KirchenBlatt Nr. 9 vom 2. März 2017)